So sehr wünschen wir uns vollständig in unsere Kraft zu kommen, aber immer noch ertappen wir uns manchmal dabei in die alte Rolle des Opfers zu fallen: Wir fühlen uns minderwertig, allein gelassen von unseren Männern, sehen uns nicht in der Lage aus einer Situation auszutreten, haben Schuldgefühle, Wut, Ängste und manchmal einfach alles auf einmal.
Mayonah Bliss hat mich zu diesem Thema in ihrem gemeinsamen Interview mit Sharan sehr berührt:
Die Opferrolle hat sich über die Jahrhunderte und Jahrtausende in uns gebildet – im Laufe des Patriarchats. Und ich würde sagen, es gibt verschiedene Schritte und verschiedene Ebenen, um das aufzulösen.
Und der Beginn ist erstmal überhaupt die Bereitschaft, der Wille und die Entscheidung aus dem Opfer treten zu wollen und in die eigene Kraft treten zu wollen.
Unbewusst lieben es auch viele Frauen im Opfer zu bleiben. Wenn ich im Opfer bin, muss ich nicht in meine Kraft und meine Verantwortung gehen.
Für manche Frauen ist das einfach gewohnter und bequemer.
Es gibt eine Angst vor der weiblichen eigenen Kraft und wenn ich im Opfer bleib muss ich der nicht wirklich begegnen. Also da muss frau sich schon wirklich sehr fein fragen:
Will ich wirklich aus dem Opfer? Es gibt, wie ich gesagt habe, auch eine Liebe zum Opfersein. Also das ist erstmal der erste Schritt, da Bewusstsein reinzubringen und eine klare Entscheidung und Ausrichtung:
Ja ich geh in meine Kraft, ich lass das Opfersein hinter mir.
Und wenn ich zitternden Beines in meine Kraft gehe, weil ich es nicht gewohnt bin und es mir auch noch Angst macht, aber ich geh den Schritt. Das war das erste.
Dann beobachte ich immer wieder in meiner Arbeit mit Frauen, wie wesentlich es ist, durch die Wut zu gehen. Im Opfer bin ich meist im Schmerz, in Trauer, in einer Ohnmacht, in Hilfslosigkeit und die Wut ist die Energie, die mich den Schritt in meine Kraft gehen lässt. Wut ist eine kreative Kraft.
Die meisten Frauen haben Angst vor ihrer richtig tief sitzenden Wut. Wir Frauen haben so eine tiefsitzende Wut! Huh!
Ich meine jetzt nicht nur diese persönliche Wut, den ich auf jemand habe, der mir was angetan hat. Sondern so eine kollektiv weibliche Wut auf das Männliche, was das Weibliche verletzt hat.
Das ist echt eine tiefsitzende Wut und die sitzt in fast allen Frauen noch festgefroren. Das ist glaube ich ein ganz wichtiger Schritt den Mut zu haben, es braucht Mut, in diese Wut zu gehen.
Und es braucht auch, einen gehaltenen Raum dafür. Ein Kreis von Frauen, vielleicht auch gemischt mit Männern, ich arbeite immer gern als ersten Schritt im Frauenkreis, dieser Wut Raum zu geben, sie zum Ausdruck zu bringen. Wenn die Raum hatte, wenn sie zum Ausdruck kommen konnte, dann wird schon ganz viel frei, dann löst sich schon ganz viel auf, ganz von allein aus diesem Opfermodus.
Es bringt mich schon in einen anderen Raum in mir, nämlich mehr in meine Kraft.
Und aus diesem Raum kann ich dann auch mit einen neuen Blick auf den Mann oder den sogenannten Täter schauen. Ich kann dann vielleicht eine Bereitschaft finden zu sehen, wo ist denn dieser Mann oder Täter Opfer gewesen? Ich bin der Meinung, jeder Täter ist irgendwo in seinem Leben auch Opfer. Und wenn wir diesen Blick weiten können, dann kann Mitgefühl und Verständnis entstehen, warum hat er so gehandelt?
Was hat ihn dazu bewegt, was war in seinem System so eng und eingepfercht, so im Schmerz, dass er gar nicht anders konnte, als so zu handeln?
Wenn ich sehen kann, wenn da Mitgefühl und Verständnis entsteht für die Beweggründe des anderen, dann entsteht der Raum in dem Vergebung entstehen kann. Und wenn ich vergeben kann, bin ich frei. Wenn ich vergeben kann, bin ich frei, dann gibt es kein Opfersein mehr.
Und dann umgekehrt auch wesentlich ist, mich zu hinterfragen, wenn ich Opfer einer bestimmten Situation z. B. in diesem Leben geworden bin, vielleicht hab ich Missbrauch erfahren. Diese Gegebenheit zu nehmen, zu schauen, was gibt es vielleicht für eine tiefere Wunde in mir, die ich in mir trage und die die geheilt werden möchte. Vielleicht gibt es schon Vergewaltigungsgeschichten aus der Ahnenlinie, vielleicht wurde die Großmutter im Krieg vergewaltigt oder die Mutter hat was erlebt oder ich habe Karma aus anderen Leben mitgebracht, vielleicht bin ich als Priesterin von Männern missbraucht worden. Meist gibt es da viel, viel ältere Ursachen für eine Situation, die mir jetzt in diesem Leben geschieht. Und wenn ich den Blick darauf lenken kann, dann ist dieses Ereignis in diesem Leben eine Möglichkeit in eine tiefe Heilung einzusteigen, in einen tiefen Heilungsprozess zu gehen. Und das holt mich aus dem Opfersein hinaus, dann kann ich irgendwann sogar danken dafür, für das was mir geschehen ist, weil es mich aufmerksam gemacht hat, Bewusstsein dahinein gebracht hat, was eigentlich noch viel tiefer als Wunde in mir liegt und dann Heilung erfahren konnte. Ohne diese Situation wäre ich vielleicht nicht darauf gekommen.
Es sind viele verschiedene Ebenen, wie ich aus dem Opfersein finden kann und Wege in meine Kraft und meine geheilte Weiblichkeit finden kann.
Ausschnitt aus dem Interview mit Mayonah Bliss und Sharan kostenlos zu sehen ab dem 15.1.2018 bei www.hara-meets-wombpower.com
Freut euch auf dieses wunderbare Interview indem Mayonah am Ende auch ein Vergebungsritual für Männer und Frauen mit uns macht.